Haushaltsrede 2023

Haushaltsrede des SPD-Fraktionsvorsitzenden Michael Servos zu den Haushaltsplanberatungen 2023 in der Sitzung des Rates der Stadt Aachen am 1. Februar 2023. Es gilt das gesprochene Wort.


Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

zunächst möchte auch ich die Gelegenheit nutzen und mich bei unserer Kämmerin und ihrem Team bedanken. Sie haben es gleich in vielerlei Hinsicht nicht leicht gehabt in diesem Jahr: Nicht mit uns und nicht mit der Gesundheit. Wir haben viele Runden gedreht und waren als Koalition dabei das ein oder andere Mal… ich möchte sagen: gewöhnungsbedürftig? 

Umso mehr freue ich mich auch persönlich, dass Sie wieder tatkräftig an Bord sind!

Wir stehen alle gemeinsam mitten in mehreren Krisen. Die Corona-Krise und ihre langfristigen Auswirkungen auf den Welt- und auf den Arbeitsmarkt sind noch lange nicht überwunden. Gleichzeitig gehen im größten Land Europas die Lichter aus: Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ist ein unglaubliches Verbrechen und verursacht Schmerzen und Leid, das wir glaubten überwunden zu haben.

Dieser Krieg stellt auch uns vor große Herausforderungen. Wir wollen die Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, angemessen und sicher unterbringen. Gleichzeitig geraten die sozialen und wirtschaftlichen Strukturen erneut stark unter Druck. Die Preise steigen, insbesondere die Energiekosten, und belasten Menschen, Vereine und Unternehmen.

Hinzu kommen die längerfristigen Krisen und Veränderungsprozesse, wie der Kollaps des Weltklimas, der Strukturwandel in Industrie und Handel – und nicht zuletzt der demographische Wandel und die Digitalisierung. 

Diese Krisen und Veränderungen klingen abstrakt, aber sie schlagen sich spürbar im Alltag der Menschen in unserer Stadt nieder – teilweise ergeben sich aus diesen Problemen sogar Widersprüche:

Da ist der Sportverein, dessen Mitglieder nicht mehr so aktiv sind wie vor Corona. Häufig haben Fernsehen, Playstation und XBox den Platz der Vereinsabende und der wöchentlichen Trainings eingenommen. Die wichtigen Rituale, die Solidarität und auch das Pflichtgefühl gegenüber dem Verein sind ersetzt worden durch individuelle Aktivitäten und durch den Konsum unverbindlicher Angebote. Was nun? Wer leitet das Training? Wer kauft für das Sommerfest ein? Wer steht im Bierwagen? Wer übernimmt Verantwortung?

Da ist der Gastronom aus der Pontstraße, der mittlerweile die Kosten für sein Frittenfett auf den Cent kalkulieren muss, für den der Strompreis zur zweiten Miete geworden ist, der kein Personal mehr für den Service findet und der sich große Sorgen darum macht, ob und wie die Gäste den Weg in sein Restaurant finden.

Da ist die Familie, die monatelang neben dem ganz normalen Arbeitsalltag ihre Kinder zu Hause betreuen und unterrichten musste. Die Auswirkungen dieser Zeit wirken in fast allen Familien nach, aber es gibt keine Zeit für eine Atempause: Schon sind da die Sorgen um Energiekosten, den Job bei Conti oder im Kaufhof und die Suche nach einer bezahlbaren, größeren Wohnung in Aachen, weil nicht nur die Sorgen sondern auch die Kinder langsam größer werden.

Da ist der Unternehmer, der seit Jahren alles tut, um mit der Digitalisierung Schritt zu halten, aber mittlerweile schon kein Personal mehr für die Maschinenbedienung oder die Werkzeugvoreinstellung findet. Gleichzeitig sucht er nach einer größeren Halle, aber in Aachen gibt es keine ausreichend große Gewerbefläche. Und dann wird die A544 gesperrt und er fragt sich, ob die Infrastruktur überhaupt genug Planungssicherheit bietet?

Da ist die Studierende, die große Sorgen um unser aller Zukunft hat. Der Klimawandel bedroht uns ganz akut, wie man nicht zuletzt in Eschweiler, Stolberg und Kornelimünster gesehen hat. Wie wird unsere Stadt resilient? Zu den grundlegenden Zweifeln an der Veränderungsfähigkeit unserer Gesellschaft kommen Existenzängste durch Kriegsbilder in Europa – die Atomkriegsuhr, die “Doomsday-Clock”, steht das erste Mal seit 1953 unter 2 Minuten vor Mitternacht.

Als gewählte Vertreterinnen und Vertreter der Menschen in unserer Stadt ist es unsere Pflicht, alles zu tun, um diese Auswirkungen der Krisen – vor allem für die Schwächsten – erträglicher zu machen und gleichzeitig die notwendigen Veränderungsprozesse zu gestalten. Wir müssen Lösungen für das eine finden, ohne das andere aus dem Auge zu verlieren. Unter dieser Maxime haben wir entschieden, Verantwortung zu übernehmen.

Heute werden wir auf diesem Weg einen nach vorne gerichteten Haushalt der Krisenbewältigung beschließen. Einen Haushalt, der die akuten Probleme angeht und gleichzeitig die Chance ergreift, die langfristigen Veränderungsprozesse zu gestalten. Einen Haushalt, der bei all dem auch mit begrenzter werdenden finanziellen Ressourcen, fehlenden Fachkräften und dem nicht neuen Flächenmangel umgehen muss. 

Vor allem aber werden wir einen Haushalt beschließen, der die Solidarität in unserer Stadt im Blick hat, damit sie nicht zerbricht. Das Wichtigste in Zeiten wie diesen ist nämlich der Zusammenhalt in der Gesellschaft. Das gegenseitige Verständnis für die verschiedenen, immer stärker divergierenden Ziele und Sorgen.

Jetzt habe ich die Latte ganz schön hoch gehängt und es wird mir zeitlich nicht möglich sein, die vielen Eckdaten aus dem Haushalt darzustellen, die diese Ziele belegen.

Wir haben uns im Vorfeld auf “kurze Reden” geeinigt. Das passt eigentlich ganz gut, denn so bleibt mir hier, wie auch in der Realität – keine Zeit für Nebenkriegsschauplätze.

Das ist nämlich der Kern dieses Haushalts und unserer Politik: Prioritäten setzen!

Keine Zeit für Häppchen. Keine Zeit für Straßenlaternen. Keine Zeit für Parkgebühren. Keine Zeit für Schönheitswettbewerbe. Keine Zeit für kleine Karos.

Familien, Wohnen und Wirtschaft. Das sind die drei Themen, die meine Partei antreiben und es sind auch unsere Schwerpunkte im Haushalt. 

1,8 Mio. Euro nehmen wir dauerhaft jedes Jahr in die Hand, um insbesondere Familien mit unteren und mittleren Einkommen zu entlasten. Erstmals zahlen dadurch die Hälfte der Familien der Kinder in Kitas und Tagespflege keine Kitagebühren mehr. Für weitere 10% haben wir die Beiträge halbiert. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen Schritt hier in zwei Sätzen abzuhandeln, wird ihm eigentlich gar nicht gerecht. Die erhebliche Entlastung der Familien wird ganz konkret im Alltag helfen, die täglichen Sorgen zu lindern, von denen ich eben gesprochen habe.

Sofern die Landesregierung Wort hält und die Gebühren für den Ü3-Bereich komplett übernimmt, können wir auch die Familien der U3-Kinder von den Gebühren befreien.

Auch die Kosten für das Mittagessen belasten immer mehr Familien. Mit dem durch den Bund erweiterten Kreis der Wohngeldbezieher*innen steigt auch der Anteil der Familien, die Hilfen für Bildung und Teilhabe beziehen, die u.a. im Bereich des Mittagessen helfen. Um den Familien, die hier knapp über den Grenzen liegen und damit durch das Raster fallen, zu helfen, haben wir den Zukunftsfonds aufgestockt und auf den Bereich des Mittagessens erweitert.

Nicht verlässliche Betreuungszeiten, sei es bedingt durch Fachkräftemangel oder Krankheit, stören den Familienalltag immer noch sehr. Neben dem nötigen Infrastrukturausbau hilft hier das Alltagshelferprogramm, das wir um ein Verwaltungskräfteprogramm ergänzen werden, das Erzieher*innen und Leitungen entlastet und so Zeit für Bildung und Betreuung schafft. 

Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, wollen wir auch bei der praxisintegrierten Ausbildung vorangehen und freie Träger bei der Umsetzung dieser Form der Ausbildung unterstützen. 

Zu einer guten Entwicklung brauchen Kinder auch Raum. Nicht nur in zusätzlichen und neuen Kitas. Auch ganz wörtlich und insbesondere in der Innenstadt fehlt es aktuell an Freiraum für die Jüngsten. 

Wir stocken deshalb mit diesem Haushalt die Mittel für den Bau von Spielplätzen erheblich auf. Dieser Spielplatzbooster für die allgemeine Prioritätenliste reicht uns aber noch nicht: Wir beauftragen deshalb mit dem heute eingebrachten Ratsantrag den Bau eines inklusiven Modellspielplatzes in der Innenstadt.

Die Bedürfnisse von Jugendlichen sind manchmal ähnlich aber nicht immer gleich. Mit 50.000 € unterstützen wir deshalb die Planung eines konsumfreien Freiraums für Kinder- und Jugendliche, insbesondere für die Wintermonate. Im Aquis Plaza abzuhängen stellt unseres Erachtens nach kein ausreichendes Angebot für die jungen Aachenerinnen und Aachener dar. Hier müssen wir mehr tun!

Ein Thema, das nicht nur Familien betrifft, ist die Frage nach bezahlbarem Wohnraum in unserer Stadt. Erst kürzlich hat der Mieterbund vor massiven Verwerfungen auf dem deutschen Wohnungsmarkt gewarnt und die Lage für Mieterinnen und Mieter als immer dramatischer beschrieben. Dies gilt ganz besonders für Geringverdiener. Nicht ohne Grund haben wir uns gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der Grünen dazu verpflichtet, insbesondere die wirtschaftlich Schwächeren zu schützen und zu unterstützen, ihnen ihr existentielles Recht auf bezahlbaren Wohnraum zu sichern. 

Dieses Ziel zu erreichen, ist in den letzten Monaten nicht leichter geworden. Gerade in der vergangenen Woche musste auch die Bundesbauministerin das nötige Ziel von 400.000 neuen Wohnungen im Jahr als noch nicht erreichbar einstufen. 

Der Bau von Wohnungen hat leider auch in Aachen an Fahrt verloren. Umso mehr müssen wir hier vor Ort alles dafür tun, zu beschleunigen, statt zu bremsen. Es gilt, Wohnbauprojekte zu ermöglichen, nachzuverdichten, Baulücken zu schließen und beispielsweise durch Dachausbau Flächen effektiver zu nutzen. Auch hierfür sieht der Haushaltsplanentwurf Mittel vor.

Wir sind dabei, die Bauaufsicht zu einem starken Partner der Bauwilligen im Sinne der viel zitierten Ermöglichungskultur zu machen. Es muss in Aachen möglich sein, eine Baugenehmigung innerhalb von 3 Monaten zu erhalten. Nur so können wir verhindern, dass Menschen, die Wohnungen bei uns bauen wollen, frustriert ins Umland abziehen, weil die Baukosten schneller steigen als wir genehmigen. Hier braucht es auch eine klare Priorisierung der B-Plan-Verfahren und Flächenankäufe bspw. für den Bodenvorratsfonds.

Über den frei finanzierten und öffentlich geförderten Wohnungsbau hinaus werden wir auch in der Frage der verstärkten Umsetzung kommunalen Wohnungsbaus vorankommen.

Gerade Menschen mit geringen Einkommen sind auf verlässlichen und dauerhaft bezahlbaren Wohnraum angewiesen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir zügig einen Weg finden, um schlagkräftig und schnell bei der Umsetzung zu sein. Die verschiedenen Modelle werden gerade untersucht, die Mittel zur Umsetzung stehen bereits im Haushalt. 

Ein Projekt, das vielen hier im Raum am Herzen liegt, ist “Housing First”, das Wohnungslosen ohne Bedingungen Wohnraum zur Verfügung stellt. Wir werden alles dafür tun, das Modellprojekt zügig umzusetzen, um auch denen zu helfen, die aktuell auf dem Wohnungsmarkt chancenlos sind.

Nun ist eine berechtigte Frage, wer das alles in der Krise bezahlen soll? Die Antwort ist uns allen klar: Neben nicht immer kalkulierbaren Hilfen von Bund und Land sind wir auf starke Unternehmen vor Ort angewiesen. Wir brauchen eine solide Wirtschaft, die Arbeitsplätze sichert und Gewerbesteuern zahlt. 
Nicht überraschend ist deren Stärkung und Unterstützung ebenfalls ein Schwerpunkt dieses Haushalts.

Einerseits gilt es, die Unternehmen dabei zu unterstützen, den Raum zu finden, den sie für ihre Entwicklung benötigen. 

Wir müssen daher schnell sein bei der Entwicklung des Conti-Geländes, von Flächen z.B. in Aachen Nord, bei der Ausweisung neuer Flächen, wie sie im FNP beschlossen sind und bei der Stärkung der regionalen Zusammenarbeit.

Wir brauchen schnell neue Industriearbeitsplätze in der Region!

Andererseits müssen wir die vorhandene Wirtschaft stärken und unsere Stadt attraktiv halten, damit Investoren, Fachkräfte und Touristen gerne zu uns kommen. 

Es ist deshalb gut, dass wir unter anderem den Markenprozess vorantreiben und auch beim Campus West und beim Sportpark Soers gemeinsam auf die Tube drücken. 

Um auch langfristig nach außen sichtbar zu sein, haben wir darüber hinaus in diesem Jahr und für die Folgejahre erhebliche Mittel in die Hand genommen und den ATS zukunftsfest aufgestellt. Dies ist ein erster Schritt, um den Tourismus- und Kongressstandort Aachen zu stärken. 

Einen besonderen Blick legen wir in diesem Jahr auf Gastronomie und Handel in der Innenstadt. Die Krise hat auch hier nicht halt gemacht. Einige Einzelhändler haben sie wirtschaftlich nicht überleben können. 

Umso wichtiger ist es, jetzt schnell und unkompliziert Unterstützung zu leisten und mit daran zu ziehen, dass wieder Leben in unsere Innenstadt kommt. 

Die Verlängerung des Projektes Smart Shopping ist dafür nur ein Beispiel. Wir haben darüber hinaus den Innenstadtfonds für kleinere Investitionen und das Programm “Guten Abend” entfristet. 

Endlich kommt auch Bewegung in die Frage der öffentlichen Toiletten, für die wir in diesem Haushalt erhebliche Mittel bereitstellen. Das Hindernis, das wir damit beseitigen, ist vielleicht genau das, das ältere Menschen aber auch Familien davon abgehalten hat, einen unbeschwerten Tag in der Innenstadt oder im Park zu verbringen.

Familien gehören in die Innenstadt. Niemand stellt in Frage, dass Geschäfte und Restaurants barrierefrei zugänglich sein müssen. 

Mindestens ebenso wichtig sind attraktive Spielmöglichkeiten für Familien. 

Wer schon einmal versucht hat, mit einem 6- und einer 5-Jährigen einen Tag in der Aachener Innenstadt zu verbringen, dem wird das Herz in die Hose gerutscht sein, als er die Nachricht vom Abbau des Stirnberg-Spielschiffs vor der Mayerschen gelesen hat. 

Die Mittel zur Bekämpfung dieses Missstands stehen im Haushalt bereit.

All diese Maßnahmen werden dabei helfen, unsere Innenstadt attraktiver zu machen und Menschen dazu einladen, zu verweilen und wiederzukommen. 

Ganz besonders wichtig ist uns hierbei das Fokusjahr Adalbertstraße, bei dem Zuständigkeiten gebündelt, Förderprogramme auf die Adalbertstraße gelenkt und die zusätzlichen Mittel im Haushalt 2023 effektiv genutzt werden, um eine größere Besucherfrequenz zu organisieren. 

Parallel wollen wir eine Gesprächsoffensive mit den wesentlichen Akteuren starten, um eine tragfähige Strategie für das Schlüsselstück unserer Innenstadt zu entwickeln. 

Es ist klar, dass wir den Strukturwandel nicht aufhalten können, aber wir tun unser Möglichstes, um ihn zu lenken und zu gestalten.

Am Ende würden es die Menschen sein, die unter einer geschwächten Wirtschaft leiden. Dies müssen wir unbedingt verhindern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 

der vorliegende Haushalt ist sicherlich ein besonderer.  Einige von Ihnen werden sagen, in Krisenzeiten müsse gespart werden und es sei das falsche Signal, Personal aufzubauen und Förderprogramme aufzulegen. 

Wir sind uns sicher: Gerade jetzt müssen wir investieren! In Menschen und ihre Zukunft. In den Gastronomen und die Studierende, in die Familie und den Verein, in die Unternehmen in unserer Stadt. 

Wir müssen da unterstützen, wo es nötig ist, da investieren, wo Bund und Land nicht einspringen, da Personal einstellen, wo es gebraucht wird und den Aachenerinnen und Aachenern in der Krise eine Perspektive geben. 

Das tut der vorliegende Haushaltsplanentwurf mit den in den Ausschüssen beschlossenen Ergänzungen. 

Meine Fraktion wird ihm deshalb sehr gerne zustimmen!