Pressespiegel: Bericht vom SPD-Parteitag am 22. September

Der „moralische Kompass“ findet deutliche Worte

Karl Schultheis nach 24 Jahren als Vorsitzender der SPD verabschiedet. Mathias Dopatka ist sein Nachfolger. Servos kritisiert Verwaltung scharf.

Von Werner Czempas

Aachen In der Geschichte der Aachener SPD war der vergangene Samstag ein wahrhaft historischer Tag: Nach 24 Jahren und vier Monaten an der Spitze der Partei nahm Karl Schultheis (65) Abschied vom Amt des Vorsitzenden. In den Kurparkterrassen Burtscheid wählte der Parteitag des SPD-Unterbezirks Stadt Aachen erwartungsgemäß den 36-jährigen Verdi-Gewerkschaftssekretär Mathias Dopatka zu seinem Nachfolger.

Exakt ab 12.09 Uhr kommt es minutenlang zu bewegenden Szenen. Karl Schultheis hat seinen letzten Rechenschaftsbericht gehalten und verspricht: „Ich arbeite selbstverständlich weiter kräftig mit!“, als sich die 81 Delegierten spontan von ihren Plätzen erheben und „ihrem“ Karl mit lang anhaltendem Beifall danken. Ulla Schmidt reicht einen Blumenstrauß, Schultheis versucht, mit Handzeichen den Applaus zu dämpfen und kämpft am Ende dann doch vergeblich mit den Tränen.

Keiner fasst unter den vielen Lobeshymnen das Wirken des Karl Schultheis treffender zusammen als der SPD-Fraktionschef Michael Servos: „Du warst uns immer ein moralischer Kompass.“ Und auch der junge Nachfolger Mathias Dopatka, dem bewusst ist, „welche Fußstapfen ich ausfüllen muss“, trifft den Nerv, als er Schultheis für die „mit Herzblut“ geleistete Parteiarbeit dankt. Die „Riesenstärke“ von Karl Schultheis sei es gewesen, viele, auch junge Mitglieder, einzubinden und sie „Teil der SPD-Familie“ werden zu lassen.

„Und auch, ob eine weitere Zusammenarbeit in dieser Regierung möglich ist, ist eine Frage der Selbstachtung.“

Karl Schultheis

„Wir, die Partei“, sagt Karl Schultheis gern. Die Partei, seit 50 Jahren seine Familie. „Ich habe fast ein Drittel der Geschichte der SPD miterlebt.“ Wenn einer so ausgleichend und auf Harmonie bedacht wie er die in Aachen knapp 1700 Mitglieder führt, mag es verständlich erscheinen, dass die Maaßen-Farce die Delegierten zwar verwirrt und schockiert, es sie aber nicht zorneswild gegen Nahles „auf die Barrikaden“ treibt.

„Haltung zeigen“

Die Aachener SPD begnügt sich mit einem einstimmig angenommenen „Initiativantrag: „Haltung zeigen – sozialdemokratischen Kurs wahren“. Zum Gerangel um Maaßen heißt es: „Wir und die Menschen im Land verstehen das nicht!“ Die Delegierten „werben“ dafür, „dass Andrea Nahles den gefundenen Kompromiss aufkündigt“, was durch deren Kehrtwende wohl schon geschehen ist. Karl Schultheis wird deutlicher: „Das geht nicht, da müssen wir nein sagen. Wir lassen eine Demütigung der Partei nicht zu. Das ist eine Frage der Selbstachtung. Und auch, ob eine weitere Zusammenarbeit in dieser Regierung möglich ist, ist eine Frage der Selbstachtung.“

Weniger die Maaßen-Farce treibt die Aachener Genossen um, als „die Entwicklung unseres Landes nach rechts“, so Schultheis. Wenn die AfD „mit braunen Horden durch Chemnitz“ ziehe, mache ihm das ein Stück Angst. „Wehret den Anfängen!“ hätten die alten Genossen, die die Zeit des Nationalsozialismus noch erlebt hätten, gemahnt. „Wir müssen für die Demokratie kämpfen, dafür steht die SPD“, ruft Schultheis.

Ex-Bundesvorsitzender Martin Schulz hat einen auswärtigen Termin vorzeitig abgebrochen und stößt leicht verspätet zum Parteitag, um „in tiefer Freundschaft zu Karl Schultheis“ zu danken. Schultheis verkörpere, was einen „richtigen Sozi“ ausmache. In einem immer wieder von Beifall unterbrochenen Beitrag demonstriert der „Sozialist und Europäer“ Martin Schulz klare Kante und seine aufwühlende und mitreißende Redekunst. Er warnt vor einer „Re-Nationalisierung“ in Europa, geißelt die „rassistische und fremdenfeindliche italienische Regierung“, prangert die nationalistischen Strömungen in Frankreich an und warnt: „Die Anpassung der bürgerlichen Rechten an die Rhetorik der extremen Rechten macht die salonfähig.“ Deren Wortwahl gleiche beim Austausch nur weniger Worte den Goebbels-Reden „eins zu eins wie in der Endphase der Weimarer Republik“. Der SPD-Seele tut es mehr als gut, als Martin Schulz an die Worte von Willy Brandt erinnert: „Wir wollen ein Volk von guten Nachbarn sein, nach innen und nach außen.“

Zurück zum Aachener Geschehen: Eine in dieser Deutlichkeit und Schärfe bisher noch nicht vernommene Attacke gegen „eine relativ desorientierte Verwaltung“ reitet Michael Servos, SPD-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat. „Es fehlt an Führung in der Verwaltungsspitze“, klagt er. „Wenn dort etwas zur Chefsache erklärt wird, ist das immer ein schlechtes Zeichen“, sagt er, ohne OB Marcel Philipp beim Namen zu nennen. Die Verwaltung kümmere sich „einen Dreck“ um Beschlüsse der Ratsmehrheit aus CDU und SPD. Sie halte sich nicht an die politischen Vorgaben, weshalb der Rat oft als tatenlos erscheine. Dabei sei dieser beispielsweise auf dem Gebiet der Wohnungsmarktpolitik „richtig gut unterwegs“. Die trage „die Handschrift der SPD“, wobei Servos die Beiträge dazu von Norbert Plum besonders hervorhebt.

Der frisch gewählte Vorsitzende Mathias Dopatka greift das Stichwort „Wohnungspolitik“ auf: „Ich möchte unsere Arbeit starten mit einer Wohnungskampagne in richtig großem Umfang. Die Wohnungsmarktpolitik muss ein Thema sein, das in der Stadt eindeutig mit uns identifiziert wird. Wir haben dazu unglaublich gute Leute.“ Dopatka, jugendlich, schwungvoll und selbstbewusst auftretend, scheut eine Anleihe bei der Kanzlerin nicht: „Wir schaffen das!“

Info

Wachablösung und Verjüngung in der SPD-Spitze: die Wahlergebnisse im Überblick

Die Wachablösung an der Spitze der Aachener SPD und die Verjüngung der Partei verliefen ohne personelle und politische Querelen. In den 15-köpfigen Vorstand des SPD-Unterbezirks Aachen Stadt zogen sieben Neue ein:

Vorsitzender: Mathias Dopatka (78 abgegebene Stimmen – 65 ja/8 nein/4 enthalten/ 1 ungültig).

Stellvertretende Vorsitzende: Daniela Jansen (77 – 74 ja, 1 nein, 2 enthalten). Ye-One Rhie (75 – 46 ja, 24 nein, 5 enthalten). 1. Kassierer: Heiko Weidenhaupt (74 – 67 ja, 4 ein,3 enthalten). 2. Kassierer: Jana Keller (74 – 70 ja, 3 enthalten; 1 ungültig).

Schriftführer: Benjamin Fadavian (74 – 64 ja, 6 nein, 4 enthalten).

Schriftführer: Florian Orthen (74 – 61 ja, 10 nein, 3 enthalten).

Acht Beisitzer (73 abgegebene Stimmen): Halice Kress-Vannahme (57 Stimmen), Jens Jäger (51), Julia Oidtmann (48), Rosa Andreas-Esser (46), Linus Offermann (42), Özgür Kalkan (41), Hans Geesen (34), Gisela Bosle (31). Nicht gewählt: Felix Bertz (24), Gabi Bockmühl (28).

 

Quelle: Aachener Nachrichten, Montag, 24.09.2018, S. 25